Es gab eine Zeit, da war ich verrückt nach ihm.
Er war um einiges älter, verheiratet. Und ich war auch in einer Beziehung. Er liebte seine beiden kleinen Kinder, ich meinen Freund. Wir kannten ihn seit längerem flüchtig.
Eines Tages rief ich ihn an und sagte, dass ich mit ihm ausgehe wolle. Er gab seiner Überraschung Ausdruck, lachte und schlug ein Restaurant vor. Da gab er für meine Verhältnisse viel Geld aus und erzählte mir aus seinem Leben. Es interessierte mich nicht wirklich, muss ich gestehen. Er erzählte in festgefügten Bildern, die er schon seit längerem mit sich herumgetragen haben musste. Vor meiner Haustür suchte er nach Worten für sein Gefühl, gefangen zu sein in seinem Alltag, erstickt im Einerlei seines wohlgeordneten Lebens. Auch er einer, der es nirgends aushielt, dachte ich beim Einschlafen.
Nach einiger Zeit rief ich ihn wieder an. Wir gingen spazieren. Er hatte seine beiden Zwillinge dabei, so suchten wir den nächsten Spielplatz am Rande des Waldes. Ich unterhielt mich mit ihnen, so gut ich konnte. Das Mädchen war aufgeweckt und guter Laune, ich mochte sie. Der Junge hingegen war verschlossen, fast abweisend und hing an seinem Vater.
Manchmal wurde es still. Er und ich hatten nicht viel Gemeinsames.
Einmal fragte das Mädchen, wie das eigentlich sei mit dem Küssen. Natürlich bekam sie keine Antwort, wir grinsten verlegen. Erst viel später lachten wir darüber, dass Kinder Gefühle so ungeniert beim Namen nennen.
Es war Traurigkeit in deinem Blick, das hat mich angezogen, sagte er einmal später. Ich wunderte mich darüber, aber es konnte mir egal sein. Ich war schon da sehr verantwortungslos. Aber wahrscheinlich hätte ich alles noch einmal genauso gemacht.
Wir gingen ab und zu aus. Ich bemühte mich darum, ihm zu gefallen. Er zog mich auf und machte mich verlegen; beim Flirten liess er sich nicht in die Karten blicken. Nach kurzem landeten wir in meinem Bett. Zwangsläufig würde ich heute sagen, und besonders schön war es beim ersten Mal nicht. Er war unsicher, was mich überraschte, von mir ganz zu schweigen. Aber der Anfang war gemacht, wir befanden uns endlich in der Geschichte drin. Ich würde jeden Tag zählen, an dem ich ihn nicht sah. Und dennoch verabscheute ich mich von diesem Tag an. Ich hatte eine Unschuld verloren und schämte mich meiner Widersprüchlichkeit. Immer wieder in den folgenden Monaten redete ich davon, abzubrechen, aber ich fand keinen Weg heraus. Und so folgte ich immer wieder meiner Lust.
Wir gingen aus, gingen essen, tranken, redeten. Er erzählte weiter aus seinem Leben in Frankreich, ich begann seine Geschichten zu mögen und fragte nach. Ich schlüpfte in seine Sprache, er lernte ein, zwei meiner Freundinnen kennen. Wir schliefen miteinander, und morgens um drei fuhr er jeweils nach Hause. Er quälte seine Frau mit seiner neuen Liebe. Mein Freund quälte sich mit dem Verzicht auf Ausschliesslichkeit und flirtete anderweitig. Mich quälten Schuldgefühle, für die ich keinen Namen fand. Ich liebte seine Umarmung, sein Begehren. Anderes schob ich beiseite. Seine abfälligen Bemerkungen über seine Frau irritierten mich zwar, aber ich hielt mich an andere seiner Eigenschaften. Er blieb lange der starke freche Mann, einen anderen wollte ich nicht.
Meinen Alltag überstand ich mehr schlecht als recht. Ich wandelte immer am Rand, manchmal fiel ich. Einmal beschloss ich, wenigstens nicht mehr mit ihm zu schlafen. So erwachte ich morgens mit weniger Übelkeit auf der Zunge. Er betete jetzt nur meine Brüste und meinen Bauchnabel an. Die Sehnsucht blieb, und das Abenteuer ging weiter. Er leitete die Scheidung ein. Endlich habe er einen Weg aus dieser Ehe gefunden, sagte er. Ich fühlte mich nicht daran beteiligt. Er liess sich beraten und innert dreier Monate war er geschieden.
Ich half ihm, seine neue Wohnung einzurichten. Ich mochte die Aussicht in den Park, die kleine alte Küche, wo er für mich kochte. Er liess seine Zimmer unmöbliert, als Zeichen des Aufbruchs. Wir hörten seine Musik, Musette und Volkslieder in Patois, auch italienischen Barock, es bestärkte mich.
Als mein Freund wegfuhr und wir ein paar Tage für uns hatten, ergab ich mich. Ich liess zu, dass alles andere in meinem Leben unwichtig wurde. Nie wieder hat ein Mann mich so berührt. Ich verlor mich.
In vielen Lebensbereichen fühlte ich mich nicht mehr zu Hause. Bei der Arbeit bekam ich ernsthafte Schwierigkeiten. Geliebt zu werden war das Schönste, was ich kannte, doch konnte ich oft nicht schlafen. Die Feder überspannte sich. Ich hätte zwei Herzen haben sollten. Eineinhalb hatte ich schon; für ihn, den Neuen fehlte noch ein halbes. Was konnte ich ihm schon geben ausser Zuhören und Sex, dachte ich.
Mit der Scheidung war er in eine Falle getappt. Er begriff erst jetzt, dass er seine beiden Kinder verloren hatte, sein Zuhause. Einsamkeit hatte ihn erneut. Er begann sich darüber zu beklagen, dass ich zu wenig Zeit für ihn hätte. Aber er hatte keinen Anspruch auf mich, Eifersucht war tabu. Als er endlich doch damit begann, lähmte es mich. Ich, gewohnt, die Wünsche meiner Männer aus ihren Augen zu lesen, fühlte mich unendlich überfordert. Ich versuchte es zu drehen und zu wenden, zwei glücklich machen konnte ich nicht. Ich war keine Spielerin. Wir begannen anders vom Ende zu reden. Wir wussten beide, dass es nahe war. Dass es kein schönes sein würde, lag auf der Hand.
Er tat es dann: Er bändelte mit meiner Freundin an.
Ich verabscheute meine Freundin und schlief noch ein paar Mal mit ihm.
Ausser einer Sehnsucht hatten wir nichts gemeinsam gehabt. So blieb auch nichts übrig.
Mein Freund verliess mich nach einem halben Jahr.
Das Leben quälte.