Eigentlich ist die Klasse doch ganz normal, dachte Silva, etwas unzuverlässig, oft unruhig und unzufrieden. Wenn bloß dieser eine nicht wäre, Antonio, kann kaum ein Wort Italienisch, aber in Deutsch auch keine Leuchte, wahrscheinlich bereits dritte Generation, sie hatte es vergessen, wie konnte ihr das passieren. Silva packte ihre Tasche, eilte in die Tiefgarage, sie kam ungern zu spät, der Anwalt war teuer. Philipp und sie konnten nicht mehr miteinander reden, sogar bei der Einkaufsliste fürs Wochenende gerieten sie aneinander. Nun war Schluss, sie informierte sich, gab Gas.
Was hatte er nochmal gerufen? Ihre Schuhe seien aus der Migros, richtig, aber warum dies den andern mitteilen. Sie war zusammengezuckt. Sie hasste diese halblauten Zwischenrufe, die man hören und doch nicht hören sollte. Ging sie darauf ein, stritt der Schüler die Bemerkung ab. Ignorierte sie sie, blieb die Sache unwidersprochen. Sie trug nicht nur billige Sachen. Und überhaupt, was gab ihr Outfit zu reden. Sie bremste im letzten Moment ab, beinahe hätte sie ein Rotlicht überfahren.
Als sie kurz nach dem Mittag zurück in die Schule kam, stand er auf dem Pausenplatz, zwei Meter von der gelben Raucherlinie auf dem Boden entfernt. Die Zigarette in der einen Hand stützte er sich mit der anderen lässig aufs Geländer, ein hochaufgeschossener Junge, im Gespräch mit Kollegen. Sollte sie ihn im Vorbeigehen ansprechen, ihn auffordern, sich in die Raucherzone zu begeben, wie es Vorschrift war? Ihm gar eine Busse aufbrummen? Es war pingelig, was waren schon anderthalb Meter. Kurz entschlossen steuerte sie auf die Eingangstüre zu.
Sie sah aus dem Fenster. Üppiges Mittagessen machte sie schläfrig. Während die Schüler einen Test schrieben, nahm sie die Aufsätze von Antonios Klasse in die Hand. ‚Wie ich mir das Leben in der Lehre vorstelle‘. Die meisten der Klasse hatten bereits einen Lehrvertrag. Heute Morgen hatten sie einen Aufsatz dazu geschrieben. Einige hatten schnell abgegeben, ihre Texte sorgten nicht für Überraschung. Ich werde selber Geld verdienen und ausgehen. Ich werde Auto fahren lernen. Antonio und seine Kollegen waren imstande und gaben ihr fast identische Texte ab. Fotografiert und abgeschrieben. Grinsend hatten sie ihr neulich erklärt, sie hätten halt ähnliche Ideen gehabt. Sie waren faul, besaßen aber ein blendendes Selbstbewusstsein. Ich werde mit meinem Lohn ein Auto kaufen, schrieb er. Ich muss nichts zu Hause abgeben. Ich werde Alfa Romeo und Maserati Probe fahren. Ja, er hatte eine gute Lehrstelle gefunden. Triumphierend hatte er ihr eines Tages den Lehrvertrag der Alfa Romeo-Garage am Stadtrand unter die Nase gehalten. Aber ob man da die Lernenden Autos Probefahren ließ?
Silva strich Grammatik- und Rechtschreibefehler an, notierte häufige Stilfehler. Antonio hatte die Sache erledigt, innerlich unbeteiligt. Es gelang ihr nur noch selten, eine Aufgabe zu stellen, die ihn packte, das wurmte sie. Sie waren im pubertären Widerstand, erprobten ihre Männlichkeit. Unverblümt schrieb er am Schluss: Ich bin froh, wenn die Schulzeit zu Ende ist. Endlich fängt das richtige Leben an. Kein Grammatikunterricht mehr, keine Bücher lesen und andere sinnlose Sachen. Insgesamt ungenügend, leider, dachte Silva und beschloss wieder einmal mit ihm zu reden.
Sie hatte Spaghetti gekocht mit Safran, Rahm und Zitrone, aber die Kinder aßen Spaghetti am liebsten ohne gar nichts. Sie zog sich um und erzählte Nils ein Bilderbuch. Als Philipp nach Hause kam, aß er mit den Kindern und sie ging joggen. Im Wald an der frischen Luft, allein, im Rhythmus ihres eigenen Atems erholte sie sich am besten. Drei Runden lief sie heute problemlos. Nach der fünften hielt sie inne, verschnaufte und wusch sich am Brunnen. Ein bekannter Geruch wehte vom Waldrand her zu ihr, auf der Bank neben dem Kiesweg saßen Jugendliche und kifften. Sie erkannte Antonio und einen Jungen aus der Parallelklasse. Musste das jetzt sein. Im Vorbeilaufen hob sie die Hand zum Gruß, ganz bestimmt wollte sie hier und jetzt kein Gespräch. Sie schwitzte, steckte in engen Leggins, war vermutlich knallrot im Gesicht. Außerdem kifften sie. Das roch nach Ärger. Bis übermorgen, warf sie hin, stieg auf ihr Rad und fuhr los. Grade noch hörte sie das knirschende Klicken eines Handys und warf einen Blick über die Schulter zurück. Die Jungs lachten, über ein Handy gebeugt.
Zu Hause sah Philipp mit Sara fern.
Silva warf einen Blick zu Noah herein, der schlief schon.
Sara muss auch ins Bett, es ist halb acht.
Wortlos stellte Philipp den Fernseher aus und erhob sich.
Sara maulte etwas, trippelte dann folgsam hinter ihm her ins Bad.
Silva wärmte das Essen, schlug die Zeitung auf und gab Sara einen Gute-Nachtkuss.
Morgen bin ich wieder dran mit Geschichten Erzählen, schlaf süß.
Wie war dein Tag?
Philipp holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank, blieb im Türrahmen stehen.
Nichts Ungewöhnliches. Um ein Haar wär ich bei Rot über eine Kreuzung gedonnert. Silva hielt inne. Ein Schüler der Klasse 3c kifft abends am Waldrand oben.
Warum bist du mit dem Auto zur Schule?
Ich musste Plakate fürs Schulfest zum Druck bringen.
Ah, Philipp verschwand ins Arbeitszimmer, hab noch zu tun.
Silva fischte die Aufsätze aus ihrer Tasche und legte sie neben die Zeitung auf den Tisch. Sie würde Philipp erst dann erzählen, wenn sie sich entschieden hatte. Keinen Moment vorher, obwohl sie sich schlecht dabei fühlte.
Als sie das nächste Mal in die Klasse trat, tuschelten die Jungs. Einer der Nachteile des Jobs, Silva gab sich unbeirrt, man ist immer exponiert, wird jede Minute gescannt. Aber heute wollte sie ja mit Antonio reden, wo war er denn.
Da schlenderte er gerade zur Tür herein.
Der Herr bequemt sich auch zu uns?
Wie viele Runden macht man eigentlich, um so rot zu werden wie Sie gestern, zwei oder drei?
Silva holte Luft: Fünf. Das musste sie gerade stellen. Warum bist du zu spät? Entschuldige dich.
Eine Minute, nun übertreiben Sie’s mal nicht, Frau Pecorio. Neulich waren Sie vierzehn Minuten zu spät, wir haben auf die Uhr geschaut.
Ich war im Gespräch mit der Schulleitung, das ist etwas anderes.
Was anderes, was anderes, äffte Antonio, inzwischen hatte er sich gesetzt und ausgepackt.
Komm in der Pause her, ich will mit dir reden.
Wegen der halben Minute? Antonio riss die Augen auf, echt überrascht.
Nein, natürlich nicht wegen der Minute.
Warum denn sonst? Habt ihr das gehört? Wegen einer Minute zu spät, zitiert sie mich.
Er funkelte sie an.
Nun sei nicht gleich eingeschnappt. Wer sagt denn, dass es ums Zu-spät-Kommen geht. Hab ich doch schon gesagt. Und sei etwas höflicher, so geht das nicht.
Er nervte wirklich.
Nun beginnen wir aber, los, wo habt ihr eure Unterlagen.
Sie gab die Aufsätze zurück, ließ eine Stilübung dazu machen, einige mussten vorlesen. Antonio beteiligte sich nicht, verhielt sich aber ruhig.
Um halb fünf erwischte sie ihn gerade noch beim Hinausgehen.
Antonio. Ich will mit dir reden.
Ich muss ins Training.
Schließlich setzte er sich mit Augenverdrehen, nachdem sie ihm mit einer offiziellen Mahnung gedroht hatte.
Erstens deine Arbeitshaltung und zweitens die Sache von gestern. Der Aufsatz ist ungenügend. Du kannst es besser. Lehrlinge, die nur mit der Peitsche im Nacken arbeiten, will keiner. Das Zweite: Ihr habt mich gestern Abend fotografiert. Du weißt, dass man das nicht ohne Einverständnis darf. Wessen Handy war es? Und außerdem habt ihr gekifft. Ich werde es deinen Eltern melden.
Antonio schnellte hoch, das werden Sie nicht.
Selbstverständlich. Es ist meine Pflicht, du bist noch nicht einmal sechzehn. Weißt du, welche Folgen Cannabis haben kann?
Mein Vater schlägt mich tot, Frau Pecorio.
Das hättest du dir vorher überlegen müssen, wehrte Silva ab. Ich werde sie nächste Woche zum Gespräch hierher einladen. Du kannst sie vorher darüber aufklären, worum es geht. Sonst hören sie es von mir.
Antonio stand auf, ohne sie anzusehen.
Silva sagte nichts. Sie musste noch eine Menge korrigieren.
Mit der Klinke in der Hand drehte er sich noch einmal um: Bitte sagen Sie meinen Eltern nichts.
Es schien, als suche er nach Worten, dann war er weg.
Silva seufzte.
Wie sieht es morgen aus, erkundigte sich die stellvertretende Schulleiterin.
Keine Ahnung. Ich schicke dir schriftliche Übungen für die beiden Klassen.
Nils hatte bereits hohes Fieber, wimmerte, als sie ihn in der Krippe in Empfang nahm. Sie rief Philipp an, der für Sara rechtzeitig zu Hause sein musste, und fuhr zum Kinderarzt.
Erst spätabends fiel ihr ein, dass Antonio ihr eine Antwort schuldig geblieben war. Wer hatte das Foto gemacht?
Ihren Facebookaccount bewirtschaftete sie schon lange nicht mehr; das war die Welt der Jugendlichen. 253 Freunde hatte Antonio. Silva bastelte nachts, nachdem sie eine halbe Stunde wachgelegen hatte, an einem Fakekonto herum. Vielleicht fiel er ja darauf herein. Soweit sie wusste, waren Mädchen vorsichtiger mit Freundschaftsangeboten. Melanie war vierzehn, eben erst mit ihren Eltern von Kanada zugezogen, weil ihr Vater hier eine Stelle angenommen hatte. Falsch, sie brauchte eine andere Begründung, warum sie keine Freunde hatte. Ihr Konto war von ihren Eltern gelöscht worden zur Strafe, weil sie … Silva grübelte. Schließlich ging sie schlafen. Zweimal rief Nils nach ihr, die Nacht wurde kurz. Tagsüber blieb sie zu Hause, Nils am Rockzipfel. Am Tag darauf würde Philipp bei ihm bleiben. Sie erzählte Nils Geschichten, arbeitete für die Schule und zwischendurch versuchte sie Melanies Account zu verbessern. Wie zum Teufel machte man unterschiedliche Freundesgruppen? Antonio zeigte sich auf der Wiese im Fussballertenue, das Gesicht streng, ernst, angestrengt. Daneben flunkerte er beim Alter. Sie fand fast die ganze Klasse unter seinen Freunden. Drei Mädchen zeigten Fotos mit viel Haut. Vielleicht sollte man an der Schule doch eine größere Offensive starten. Geschichten über Jugendliche kursierten, die ihre Lehrstelle verloren, weil ihre Lästereien im Chat bekannt geworden waren.
Schließlich wurde es Silva zu blöd. Fast die Hälfte aller existierenden Facebook-Konten waren gefakt, das war bekannt. Was schnüffelte sie herum, sie war doch nicht bei der Polizei. Sie deaktivierte Melanie und sah wieder nach Nils. Sein Fieber war gestiegen, er schwitzte im Schlaf mitten am Nachmittag. Silva rief Philipp an, danach ihre Schwiegermutter und überhörte ihre Frage, ob sie nicht etwas zu viel arbeitete. Abends schrieb sie die Einladung für Antonios Eltern zum Elterngespräch. Antonios Liste war inzwischen lang: mangelnder Leistungswille, fehlende Umgangsformen, Kiffen, Rauchen, unerlaubtes Fotografieren … Silva überlegte, ob sie die Schulleitung einschalten sollte. Dann würde es aus Termingründen wieder eine Ewigkeit dauern, sie wollte vorwärts machen.
Am nächsten Morgen blieb Philipp noch einmal bei Nils, am Nachmittag durfte der Kleine wieder zwei Stunden in die Krippe. Silva hetzte aus dem Unterricht zu ihm, Nils heulte und stieß sie von sich. Gab es etwas, was sie hätte anders machen können?
Am Wochenende holte sie Liegengebliebenes nach, bereitete für die nächste Woche vor, machte den Haushalt. Philipp und sie wechselten sich in der Kinderbetreuung ab. Sara bestand auf Hallenbad, ging dann aber zu einer Freundin spielen. Am Abend wollte Philipp dann auch noch reden.
Ich glaube, so geht das nicht weiter.
Was geht nicht so weiter? Silva sah nicht auf.
Na, unser Familienmanagement.
Du meinst, ich soll mein Pensum wieder reduzieren? Wieso ich?
Das hab ich nicht gesagt. Weil ich nicht kann.
Wie wär ‘s mit achtzig Prozent? Ihr seid doch eine moderne Firma.
Silva. Wie oft haben wir schon darüber geredet.
Ich sehe nicht ein, warum ich zurückstecken soll, bloß weil ich die Frau bin. Außerdem sind wir mitten im Schuljahr.
Ich habe am Freitag im Geschäft gesagt, ich würde einen Kunden treffen.
Das hätte ich nicht getan.
Mein Gott, verstehst du das nicht? Ich konnte nicht schon wieder wegen eines kranken Kindes fehlen. Es geht einfach nicht.
Aha. Aber bei mir ist das anders, nicht wahr? Ich kann durchaus fehlen, mehr als die gesetzlichen drei Tage, die hab ich nämlich schon eingezogen, im Gegensatz zu dir.
Ihr seid besser organisiert. Bei euch kann auch mal jemand den andern vertreten. Warum bist du so aggressiv?
Jetzt reicht es. Du hast keine Ahnung von Schule. Ich möchte einfach, dass du deinen Anteil übernimmst. Genauso wie ich. Und genauso, wie wir es im Übrigen abgemacht haben vor sieben Jahren. Du hältst dich einfach nicht daran.
Wir haben nicht abgemacht, dass ich alle zwei Monate einen Tag bei der Arbeit fehle. Wir haben abgemacht, dass wir uns die Kinderbetreuung teilen, so wie das jeder von uns kann. Ich mache am Wochenende mehr mit ihnen als du.
Das ist überhaupt nicht wahr.
Silva drehte sich weg. Entnervt nahm sie Jacke und Mütze und verließ die Wohnung.
Als sie zurück kam, war Philipp schon zu Bett gegangen.
Silva hatte gerade die Ordner weggeräumt, als Antonios Eltern ins Klassenzimmer traten. Sein Vater war Bauarbeiter mit großen Händen, um Haltung bemüht im unsicheren Gelände der Schule, seine Mutter putzte wahrscheinlich seit Jahren.
Sie kommen zum Elterngespräch? Heute? Und wo ist Antonio? fragte Silva. Offenbar hatten sie den Brief missverstanden.
Im Fußballtraining, die Mutter war erstaunt.
Könnten Sie ihn bitte anrufen, damit er noch dazu stößt? Dann kann ich mir eine halbe Stunde Zeit nehmen.
Worum geht es denn, fragte die Mutter verunsichert, begann an ihrem Handy zu fingern.
Sollte sie überhaupt mit ihnen reden? Die halbe Stunde würde ihr nachher wieder fehlen.
Er nimmt nicht ab. Worum geht es denn? Können Sie uns das nicht sagen? bat die Frau.
Antonio hat eine gute Lehrstelle gefunden, dazu gratuliere ich Ihnen erst mal, begann Silva zögernd, die Elterngesichter entspannten sich etwas.
Leider ist er nicht der einzige, der, sobald der den Lehrvertrag in der Tasche hat, nichts mehr für die Schule tut. Das ist das eine, schwieriger finde ich, dass er raucht und kifft. Wussten Sie das? Ich traf ihn neulich am Waldrand oben. Silva entwickelte ihre Gedanken beim Reden und merkte nicht, wie die Eltern erstarrten. In einer Atempause wandte sich die Mutter an ihren Mann, redete in schnellem italienischen Dialekt auf ihn ein. Silva verstand kaum etwas, glaubte zu hören, dass der Vater ihn dran nehmen wollte. Die Mutter verteidigte ihren Sohn, sagte es rundheraus:
Ich glaube nicht, dass Antonio, ehm, kiffed. Dass er Zigaretten raucht, ja. Wir werden mit ihm reden, es ist ungesund.
Silva holte Luft, das war ihr schon lange nicht mehr passiert, selbstverständlich würde er es abstreiten, wenn seine Mutter ihn fragte. War es ihr Job, auch noch die Eltern zu erziehen?
Ich glaube, wir verschieben das Gespräch. Antonio muss dabei sein.
Vielleicht sollte sie doch die Schulleitung einschalten. Sie öffnete die Schublade und holte einen Flyer heraus.
Darf ich Ihnen das mitgeben? In der Regel sind Jugendliche nur lückenhaft über Cannabis informiert. Noch während sie den Flyer in der Hand hielt, merkte sie, dass er nicht passte, die offene Art über Drogen aller Art zu informieren, war diesen Eltern fremd. Trotzdem drückte sie ihn ihnen in die Hand und verabschiedete sie kurzerhand. Morgen musste sie zum dritten Mal mit unkorrigierten Tests in die Klasse. Die Arbeit, der Haushalt, die Kinder. Von ihren persönlichen Interessen ganz zu schweigen. Die ständigen Absprachen, wer musste wann wo sein, um die Kinder abzuholen oder zu bringen. Hatte sie nicht irgendwann ans Gymnasium wechseln wollen? Wütend stieg Silva in den Bus.
In ihrem Fall würde man das Sorgerecht teilen, hatte der Anwalt gesagt, die Obhut würde zum größten Teil sie übernehmen, er arbeitete ja zu hundert Prozent. Die Lebenshaltungskosten würden immens steigen, eine zweite Wohnung musste bezahlt werden, ein zweites Auto lag kaum drin. Noah war noch so klein. Ob Philipp überrascht sein würde?
Du bist wirklich locker, meinte eine Kollegin anderntags, du erlaubst deinen Schülern, dich beim Sport zu fotografieren?
Wovon redest du? Silva leerte ihr Postfach, überflog eine Notiz der Schulleiterin, welche ein Gespräch verlangte, Thema: Auftritt im Internet. Silva runzelte die Stirn, das versprach nichts Gutes.
Na, die Fotos in Leggins, die Kollegin grinste etwas verlegen.
Wo hast du welche Fotos gesehen?
Sie zeigen sie einander auf ihren Handys, das ist nicht von dir abgesegnet?
Die Sache war liegen geblieben, Silva biss sich auf die Lippen. Warum musste sie sich mit Eltern herumschlagen, die nicht einmal einen Brief lesen konnten und die dem Sohn mehr glaubten als der Lehrerin? Nun war es mehr als zwei Wochen her, deswegen das Tuscheln und Grinsen. Antonio verhielt sich im Unterricht auffällig unauffällig. Und sie wurde von der Schulleitung zitiert.
Philipp war einsilbig, als sie nach Hause kam. Als die Kinder im Bett waren, fragte er, was der Brief vom Anwalt zu bedeuten habe. Silva, wie vor den Kopf geschlagen, hatte vergessen, die Schule als Postadresse anzugeben, nun war die Rechnung im Briefkasten zu Hause gelandet.
Lange sagte sie nichts.
Ich wollte wissen, wie es aussehen würde, wenn wir uns trennen würden.
Ah, sagte Philipp. Verstehe. Er machte ein paar Schritte zum Fenster, sah hinaus.
Er drehte sich um, hast du dich verliebt?
Philipp, wir haben uns nichts mehr zu sagen. Wenn wir miteinander reden, streiten wir. Es wäre besser für uns alle, wenn wir getrennte Wege gehen würden.
Und die Kinder?
Scheidung bedeutet ja nicht mehr, dass sie einen Elternteil verlieren.
Ich meine organisatorisch?
Vielleicht findest du eine kleine Wohnung hier in der Nähe?
Ich soll, wenn nötig einspringen, wenn unnötig, außer Haus sein?
Willst du nun plötzlich dein Arbeitspensum doch reduzieren? Ich dachte, das sei unmöglich bei euch.
Und du? Du bist doch dienstags und donnerstags bis abends an der Schule, gab er zurück.
Sie müssen länger in die Krippe und in den Hort, das ist klar. Zumindest bis ich Stunden abgeben könnte.
Pause.
Schließlich sagte er langsam: Das hätte ich nicht von dir erwartet. Dass du uns einfach so aufgibst. Das haut mich um.
Warte. Lies die Zusammenfassung des Analts. Das Sorgerecht teilen wir, das ist üblich. Und die Güterteilung dürfte relativ einfach sein bei uns. Ich leg dir das Blatt aufs Pult. Vielleicht könnten die Kinder ja auch einen Tag bei dir sein unter der Woche, zum Beispiel freitags, vielleicht könntest du ja etwas früher aufhören mit der Arbeit. Ich werde mich nach freien Wohnungen im Quartier umhören.
Philipp wandte sich ihr noch einmal zu: Erwarte nicht, dass du die Scheidung so glatt über die Bühne bringst wie all deine anderen Projekte. Ich bin mehr als deine Tapete.
Er ging, mit steinernem Gesicht.
Silva biss ratlos auf ihren Nägeln herum. Immerhin war es gesagt, sie hatte es sich schwerer vorgestellt.
Aber sie fühlte keine Erleichterung. War es der Anfang der Freiheit oder doch nur ein großer Scherbenhaufen? Sie schenkte sich einen Whisky ein, während sie ziellos begann Dinge in der Wohnung zu ordnen.